Reisebüro Bundeswehr macht München unsicher
Wie sich ein Bundeswehrbus
ins Unterbewusstsein schleicht...
Wir stehen auf dem Marienplatz in München mit unserem Reisebüro
Bundeswehr, das heißt: Mit unserem Bundeswehrbus, in dem eine Ausstellung zu
Geschichte und aktuellen Angriffskriegen der Bundeswehr zu sehen ist, mit
unserem Reisebüro und unseren „Soldaten“. Da kommen Leute von irgendeiner
Organisation auf uns zu und wollen den Bus kaufen. Wuidi fragt sie, wie viel
sie dafür zahlen wollen. „300 Euro“, lautet das erste Angebot. Ich sage zu
Wuidi, dass das vollkommen lächerlich sei und er ja selber wisse, wie viele
Tausend Euro wir in den Bus gesteckt hätten. Aber er lässt sich nicht beirren
und will ein höheres Angebot von den jungen Leuten haben. Sie steigern sich auf
600 Euro – und Wuidi schlägt ein. Ich werde total hysterisch, schreie Wuidi an,
dass er das doch nicht machen könne – aber er sagt nur immer wieder, dass es
schließlich super sei, wenn andere Organisationen mit unserem Bus arbeiteten.
Ich renne über den Marienplatz, treffe eine alte Schulkameradin, die damals wie
heute bei Linksruck war bzw. ist, erkläre ihr, worum es geht, und sie will mir
helfen. Wir kommen zu Wuidi zurück – der Bus ist weg. Wuidi grinst und sagt nur
ganz seelenruhig: „Hey Alex, das ist doch kein Problem, wir können uns doch
einen neuen bauen...“ Ich breche fast zusammen – und wache auf. Uff, das war
alles nur ein Traum, wir müssen bald aufstehen, um wieder vor irgendeiner Schule
mit dem Bus Schüler und Schülerinnen zu einem bombensicheren Urlaub
einzuladen...Doch vielleicht das Ganze lieber von Anfang an:
Tag 1: Der Bus, seine durchschlagende Wirkung und
sonst noch so einiges
Der erste Ort, für den wir den Bus erfolgreich beim KVR angemeldet
haben, ist ein Berufsbildungszentrum (Langwied). Die erste spannende Situation
erleben wir, als Wuidi den Bus mit seinem frisch gebackenen Führerschein 500
Meter rückwärts über einen schmalen, verschneiten Weg zu unserem Standplatz
fahren muss. Auch die Einweiser sind noch etwas ungeübt – man darf sich nie
hinter dem Bus verstecken! – aber schließlich erreichen wir unser Ziel. Schnell
das Reisebüro mit Katalog aufgebaut, die Soldatenuniformen angezogen – da
kommen auch schon die ersten Schüler. Wir verteilen unsere „Busfahrkarten“, die
zur Teilnahme am „Reisebüro Bundeswehr“ bei der Demo gegen die
NATO-Sicherheitskonferenz berechtigen, und unsere Aufklärungsflugblätter zur
Bundeswehr. Leider sind wir noch nicht so ganz in unseren Rollen drin, auch das
Reisebüro wird nicht so sehr wahrgenommen, genauso wenig wie der Bus. Naja, wir
lernen dazu.
Der nächste Standpunkt ist der Orleansplatz, wo wir das Reisebüro
ebenfalls aufbauen, diesmal die „Reiseverkaufskameradin“ Leni (das bin ich)
aber offensiv auf die Leute zugeht, um die Reiseprogramme der Bundeswehr
vorzustellen. Das hört sich ungefähr so an: „Guten Tag, hier unser neues
Programm, deshalb habe ich auch nur einen Pilotkatalog, den kann ich ihnen nur
zeigen.“ Ein wacher Geist könnte schon bei dem Wort „Pilotkatalog“ stutzig
werden, aber na ja. Es geht weiter: „Hier haben wir Städtereisen im Programm,
mit ein bisschen Häuserkampf gegen Gewerkschafter, Linke und was sonst noch so
auf der Straße rumspringt (!). Da ein bisschen Negerschießen (!) im Dschungel,
oder auch der beliebte Amputationskurs in den Bergen. Und dann noch das
Computerspielprogramm Minenabwehr – wenn man wirklich mal draufsteigt, dann
kommen die Kameraden vom Amputationskurs und flicken zusammen, was übrig ist
(!). Interessiert?“ Hier folgt meist ein etwas erstaunter Blick und hin und
wieder die Frage: „Das gibt es jetzt wirklich? Davon hab ich ja noch nie was
gehört.“ Daraufhin erkläre ich, dass wir inzwischen in über 60 Ländern
stationiert waren oder sind (illustriert mit einer hübschen, deutschen
Weltkarte) und dafür eben jetzt mehr Leute brauchen, jeden Mann, jede Frau,
jedes Alter. „Aha, so ist das. Und wie ist jetzt das mit dem Urlaub?“ - „Ja, da
verpflichtet man sich eben auf zwei Jahre, wirft ein paar Bomben ab oder tut sonst
so das, was eben gerade das Kriegsziel ist, und dann kann man Urlaub machen in
fast jedem Land der Welt!“
Nein, es folgt kein Aufschrei des Entsetzens, auch keine Nachfrage, ob
das nicht doch eine Verarschung sei – mindestens 90 Prozent der Menschen (angesprochen
habe ich ungefähr 60 in drei Stunden) wollen buchen, sind interessiert oder
entschuldigen sich, dass sie gerade einen Kapselriss oder eine Erkältung haben
und wollen wissen, ob sie auch später buchen können. „Natürlich, dieses Angebot
ist absolut krisensicher, junger Mann!“ Erleichtertes Lächeln und ein warmer
Abschied sind die Folge: „Ja, da schau ich dann mal auf diese FDJ-Homepage und
informiere mich weiter, vielen Dank auch...“ Na immerhin, auf „dieser“ Homepage
werden sie die Infos schon bekommen
J.
Sehr beliebt ist auch die Ausrede, dass man ja „Flugangst habe“ oder auch „gar
nicht so gerne ins Ausland fahre“. Aber da kennen wir nichts: „Wir haben auch
Busreisen im Programm“ – „Oh, das ist ja toll“. Oder: „Wenn die entsprechenden Verfassungsänderungen
durch sind, dann läuft das gesamte Programm auch in Deutschland“ – „Ja, dann
will ich das Flugblatt mal mitnehmen“... Dieses Flugblatt nennen wir inzwischen
„die Vertragsbedingungen, nicht das dann gemeckert wird, wenn mal der
Hubschrauber abstürzt...“ und bekommen es so wirklich zu 99 Prozent los.
An diesem ersten Nachmittag sind es genau sieben Personen, die mich
gleich durchschauen oder auch nach meinem Angebotsüberblick fragen, ob ich noch
alle Tassen im Schrank hätte. Ich erkläre ihnen unsere Aktion, schicke sie in
den Bus zur Ausstellung und bin erleichtert, dass ich in drei Stunden sieben
Leute gefunden habe, die nicht deutsche Reisekrieger werden wollen (dass davon
die meisten wiederum die USA als die Wurzel allen Übels sehen, wollen wir mal
beiseite lassen...). Wir sind alle sehr entsetzt, wie weit die Bevölkerung in
diesem deutschen Land schon wieder ist – kriegsbereit ist wohl noch zu wenig,
um die Stimmung auszudrücken. Auch fragen wir uns, was wir an der Aktion noch
ändern müssen, damit mehr Leute sie begreifen und tatsächlich aufgeklärt
werden. Zwar bekommen wir unsere Flugis tonnenweise los – aber das reicht uns
nicht. Wir fügen unserem Pilotkatalog eine Unterschriftenliste hinzu, auf der
man, wenn das Wunschziel noch nicht dabei ist bei den 60 Ländern, eben dieses
eintragen kann, zusammen mit der gewünschten Waffengattung und Bemerkungen,
worauf man gerne schießen will. Auf dieser Liste steht wortwörtlich: „Ich
schlage vor, dass die Bundeswehr gegen folgendes Land/folgende Region Krieg
führt.“
Diese Liste sollte leer bleiben – doch auch diese Hoffnung wurde
enttäuscht...
Höhe- und
Tiefstpunkte aus einer Woche „Reisebüro Bundeswehr“
Vor einer der fünf Schulen (Willi Graf), vor denen wir standen, hatten
wir eine richtig gute Aktion – viele sahen sich den Bus an, die wenigsten
wollten mitfahren – auch wenn sie nicht so genau wussten, warum eigentlich
nicht. Kaum zu glauben waren hier die Reaktionen von ein paar 14-jährigen
Bengels, die sich in die Liste eintragen wollten:
„Hm, was schreibe ich denn hin, worauf ich schießen will...Tiere? Nee,
Tiere, das ist ja Tierquälerei – schreib ich Menschen hin!“ Hm, fein, das ist
prima! Oder auch:
„Ich würd’ gern auf Neger
schießen – ach ne, mein Papa, der ist ja Schwarzer, dann schreib ich lieber
Menschen hin...“ Beruhigend, beruhigend, dieser differenzierte Blick auf die
eigenen Familienverhältnisse. Diese Jungs konnte ich noch dazu bewegen, sich
den Bus anzuschauen. Kommentar danach: „Oh Mann, das ist ja ne Verarschung –
aber das haben wir gleich gemerkt, wir wollten Dich bloß testen!“ Na, da bin
ich aber froh. Vor dieser Schule haben wir wirklich unseren Spaß, erfahren viel
Zuspruch – und einer will unseren Soldaten richtig fertig machen: „Bundeswehr –
Bundeswehr?!? Ich scheiß auf die Bundeswehr!!!“ – „Aha, das gibt aber eine
saftige Anzeige!“ (hier muss man einfügen, dass der kleine Widerstandskämpfer
ungefähr zwei Köpfe kleiner war als unser Soldat und bei der Drohung mit der
Anzeige sichtlich Angst bekam, aber:) „Na und, ich scheiß trotzdem auf die
Bundeswehr!“ Da wurde er über unsere mutwillige Täuschung aufgeklärt und bekam
unser Flugblatt.
Vor einer anderen Schule (Luise) wurden wir hingegen wieder stark
enttäuscht: Wir hatten dieses Mal sogar unseren Reiserekrutierungsarzt dabei,
den „Dr. Josef“. Aussehen: Blaue Docks, braune Cordhose, darüber ein weißer
Arztkittel (im Winter!!!), ein grauer Schal, ein Namensschildchen und keine (!)
Mütze, sondern viel Schnee im Haar. An dieser Stelle sollte man vielleicht mal
einfügen, dass wir in der ganzen Woche nur über einen wirklich überzeugend
aussehenden, voll uniformierten Soldaten verfügten. Die anderen hatten entweder
nur eine Uniformjacke an, eine Uniform, die ganz und gar nicht passte oder eben
gar keine – aber die Gehorsamsbereitschaft lässt über solche Dinge hinwegsehen,
so scheint es. Naja, jedenfalls brachte unser Doktor Josef nach einer
einleitenden Behandlung der Leute durch Reiseverkaufskameradin Leni die Leute
im tiefsten Winter dazu, ihre Zunge rauszustrecken, sich ihre Zähne zählen zu
lassen und Kniebeugen zu machen. Irgendwo macht es ja schon Spaß, aber irgendwo
ist es auch ein sehr trauriger Erfolg. Dann waren da ja noch ein paar Schüler,
die einfach nicht glauben wollten, dass wir nicht von der Bundeswehr sind –
„wenn nicht, wo haben die dann den Bus her?“ Tja, dieses Geheimnis haben wir
nicht einfach so gelüftet... Insgesamt können wir vor dieser Schule einige
Unterschriften für den Krieg sammeln, und begehrte Ziele sind die USA und
Israel. Was auch sonst.
Dann waren wir ja noch jeden Tag auf verschiedenen, gut besuchten
Plätzen in München (Marienplatz, Karlsplatz, Weißenburger Platz, Tela-Post
Giesing). Im Prinzip waren die Reaktionen immer ähnlich wie die oben
beschrieben, wobei die Zustimmungsquote, die ich erfahren habe, zwischen 90 und
70 Prozent schwankte. Auch unsere Unterschriftenlisten wurden voller und
voller, als Ziele kamen am Marienplatz, dem Alt-Nazi-Umschlagplatz Münchens,
vor allem Polen, Russland oder einfach nur „der Osten“ hinzu. Da waren
verrunzelte Nazi-SS-Offiziers-Töchter ganz begeistert von unserem Offizier
Chris und bedankten sich bei ihm, dass es noch aufrechte Deutsche gebe.
Inzwischen hatten wir unsere Busfahrkarten modifiziert zur
Teilnahmeberechtigung an einer Verlosung eines neuen Kriegs- und Reiseziels am
Tag der Demo gegen die NATO-Sicherheitskonferenz – doch auch das half nicht
viel.
Der Widerspruch, den man gegen Ende der Woche schon gegeben sah, wenn
jemand nur fragte, ob das denn wirklich wahr sei, gestaltete sich recht
unterschiedlich. Von Leute, die gleich kapierten, worum es ging, über solche,
die sich aufregten, bis zu solchen, die es nach Besuch der Ausstellung
begriffen und dann diskutieren wollten, war alles dabei. Highlight hier: „Aber
ich bin doch gegen den Krieg!“ - „Ja, wieso das denn?“ - „Ja, das weiß ich auch
nicht...“ Aha.
Resümee der
Woche...
Lernen konnten wir in dieser Woche auch noch, dass es tatsächlich ein
Reisebüro der Bundeswehr gibt (das Bundeswehr-Sozialwerk), aber auch die Frau,
die uns das erklärte, wollte ihrem Mann die Vertragsbedingungen mitnehmen,
damit er sie auch sicher hätte. Aber bitte, gerne! Außerdem erfuhren wir, dass
die Zeitsoldaten in Alarmbereitschaft versetzt worden sind – so weit sind wir
also schon.
Insgesamt lässt sich sagen, dass wir sicher über 10.000 Flugblätter mit
den Vertragsbedingungen und „dieser FDJ-Homepage“ losgeworden sind, mit sehr
vielen Leuten diskutieren konnten und sehr viele die Ausstellung besucht haben.
Auch wenn damit die Aufklärungsquote höher liegt als bei allen anderen
Aktionen, die ich bisher gemacht habe, ist dennoch die Masse derer, die
beängstigend kriegsbereit sind, unfassbar groß. Wie man so eine Aktion noch
weiter überspitzen kann, ist kaum vorstellbar, denn wir hatten eigentlich
gedacht, den Bogen sowieso schon überspannt zu haben. Egal, ob die Soldaten den
Frauen hinterher pöbelten, „dass die Männer im Kosovo doch auch Frauen zum
Wärmen brauchten“, oder ich die Leute anschnauzte, „dass für den Dienst am
Vaterland immer Zeit zu haben ist“ – wir bekamen einfach keine in die Fresse.
Und je professioneller im Laufe der Woche unser Befehlston wurde, desto mehr
Flugblätter konnten wir verteilen – auch das eine beunruhigende
„Verhaltensstudie“. Wir sind nah am Krieg dran – und die Bevölkerung ist bereit
dafür.
...und
Erlebnisse bei der Demo gegen die NATO-Sicherheitskonferenz
Bei der Demo gegen die NATO-Sicherheitskonferenz den Bus einzusetzen,
war vorher hart diskutiert worden, weil unklar war, wie mit dem Bus ein Akzent
gegen den geläufigen Antiamerikanismus eben genau dieser guten, deutschen
Menschen zu setzen sein könnte. Ich war skeptisch – doch die Aktion hat mich
überzeugt. Wir hatten aber auch ein sehr gutes Bild: Unser Offizier Chris, der
jeden – auch einen Oberstleutnant der Bundeswehr (doch das soll er selber
erzählen) – von sich überzeugen konnte, dahinter zwei Soldaten mit den Tafeln
„Wir sind keine Lakaien mehr“ und „Wir führen jetzt unsere eigenen Kriege“. Und
schließlich zwei Zivilisten mit einem Transparent: „Nur deutsche Kriege sind
gute Kriege“, dahinter der Bus. Dieser Auftritt brachte offensichtlich auch die
Polizei so durcheinander, dass es für Chris überhaupt kein Problem war, deren
Befehlskette beliebig zu verwenden, um uns genau dorthin zu bringen, wo wir hin
wollten.
Zwangsläufig gab es durch dieses Auftreten sehr viele Diskussionen, vor
allem, weil wir uns ganz am Ende der 30.000-Leute-Demo einreihen sollten, und
somit lange warten und reden konnten. Auf diesem Weg konnten wir vielen Leuten
klar machen, was das Problem an solchen Nieder-mit-den-USA-Es-lebe-Deutschland-Manifestationen
ist. Ein Jugendlicher kam auf mich zu und meinte: „Wow, klare Aktion, mich
nerven diese Demos so, wo es gegen die USA geht und Deutschland hochgelobt
wird...Und überhaupt, vorhin hab ich ein Transparent gesehen, dass Kritik an Israel
nicht antisemitisch ist – das ist echt zum kotzen!“ Meine Begeisterung für
diesen Menschen muss ich wohl nicht schildern, und er und sein Kumpel reihten
sich in unseren AgitProp ein. Wir
konnten etwa 5000 Flugblätter verteilen, was auch ein recht guter Schnitt war –
ob das nun an der Bereitschaft der Leute lag, etwas zu nehmen, oder an unserem
neuen Tonfall, bleibt Spekulationen überlassen.
Die Sache mit dem Unterbewusstsein...
So kann man also nach so einer Woche wirklich weder im wachen noch im schlafenden
Zustand den Bus vergessen. Und es
sind so widersprüchliche Gefühle, die man damit verbindet – auf der einen Seite
Begeisterung und Spaß daran, wie gut die Aktion funktioniert, auf der anderen
Seite Wut und Sorge darüber, wie die Deutschen drauf sind. Es lässt sich aber
festhalten, dass wir den Bus nicht verkauft haben und auch nicht verkaufen
sollten (aber vielleicht ein paar neue bauen...?), sondern ihn überall dort nutzen müssen, wo man ihn haben will – oder
auch nicht haben will. Und alle, die schon mal mit diesem Teil gearbeitet
haben, das im Winter auch noch unglaublich kalt ist, weil es natürlich keine
Heizung gibt, werden ihm hinterher fahren, um wieder mal Reiseverkaufskameradin
oder Reiserekrutierungsarzt zu sein...solange das noch möglich ist.
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