Heinrich Mann und Kommunismus
Gegen deutsche Nazis und Sozis sein, dafür Demokratie und Kommunismus haben wollen,
das ist heutzutage kein lohnendes Geschäft. Warum ruhen wir uns nicht stolz auf
unserem sicheren Arbeitsplatz und unserem deutschen Auto aus? Wir wären doch sowieso
allein! Wer wäre schon für Kommunismus? Welcher nennenswerte Deutsche war je für
Kommunismus?
Da habe ich mal in unserem Zeitalter nachgeschaut, ob die Kommunisten wirklich immer
so allein waren. Ich traf Heinrich Mann, einmütig – auch von BRD-„Wissenschaftlern“
– für einen nennenswerten Deutschen befunden. Der war kein Kommunist, Marx bewahre,
nur ein „bedeutender Deutscher“.
Man mußte beileibe nicht Kommunist sein, um von den Nazis verbrannt zu werden. Und
Heinrich Manns Werke wurden verbrannt. Daß die Sowjets ihn 10millionenfach in die
Arbeiterhände druckten, kann nicht hinreichen, ihn für prokommunistisch auszugeben,
denn die sowjetische und DDR-Literaturpolitik war immer (bei allem Streit um den
konkreten Inhalt eines Erbes) vom erbetheoretischen Grundsatz geleitet, daß der
Sozialismus die schönen Früchte der nun verdorbenen Bourgeoisgesellschaft den Massen
schmackhaft zu machen habe, nachdem die Bourgeois ihre Literaten verbrannt oder
entverstanden hatten. Scheinparadoxerweise gibt es im Kapitalismus keine Heinrich-Mann-Rezeption,
sondern nur etwas, daß dafür gehalten und ausgegeben wird, ohne mit Recht Rezeption
genannt werden zu können. (Wir können hier freilich nur einige Aspekte einer politischen
Rezeption entwickeln.)
Das überkommene Bild des linkeren Mann-Bruders ist über gewöhnliche Maßen ideologisch
übertüncht, sein Werk von westdeutscher Pedanterie zerstückelt und interessiert
kommentiert, daß man fast sagen kann, es gibt überhaupt kein westdeutsches Buch
von Heinrich Mann, in das nicht ein „wohlwollender“ Anti-Mann gegen etwaige „Mißverständnisse“
gedruckt wäre. Vielleicht war es ein Fehler der DDR, daß sie einfach seine Werke
gedruckt und gelesen hat, statt ihn „auszuschlachten“, wie ihr immer vorgeworfen
wird – von den wahrhaften Meister-Ausschlachtern des westdeutschen Literatur-(„Wissenschafts“)-Betriebs.
Die politische Entwicklung Heinrich Manns soll er uns Unvoreingenommenen bitte schön
selber formulieren (allerdings durch meine Zitat-Auswahl). Holen wir dennoch den
Kommentar nach, den wir 60 Jahre lang, wohl in lächerlichem Vertrauen auf die Macht
des Offensichtlichen, zu oft ausgespart haben. Heinrich Mann war ein klassischer
Bürgerlicher, war noch lichten Kopfes; wo ihn das zwangsweise hinbrachte, dokumentieren
wir unten. Die meisten Bürger verhielten sich im Faschismus nicht mal mehr klassisch,
sondern feig. Heinrich Mann? Er verhielt sich ganz und gar klassisch-würdevoll,
nicht mehr. Er bewahrte im Exil, was an deutscher Bürgerlichkeit noch zu retten
war. Und der Faschismus hat den Bürgern allen Anlaß zu Besinnung gegeben. Wer nur
einen Fetzen auf Aufklärung und Republik, Französische Revolution und "Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit!" hielt, wurde spätestens vom faschistischen deutschen
Imperialismus in die Arme der Sowjetbefreiung getrieben, geistig, moralisch, materiell.
Und umgedreht: wer vom deutschen Faschismus nicht in die Arme der Sowjetbefreiung
getrieben wurde, der hält eben nicht einen Fetzen auf Aufklärung und Republik, Französische
Revolution und "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!". Wenigstens der Faschismus
müßte den Philistern eingebläut haben, daß die Sowjetmacht die Befreiung der Menschheit
in sich trägt. (Wer historisierend auf den Untergang der Sowjetunion verweisen will,
dem sei geantwortet: dieser Untergang ändert nichts am Befreiungsgehalt der Sowjetmacht
– ihrer materiell-geschichtlichen Leistung und vor allem ihrer übergeschichtlich-geschichtsphilosophischen
Bedeutung.)
Heinrich Mann ist immer, und ohne Imperialist gewesen zu sein, ein großer Bürger
gewesen, oder noch größer. Großartig! Dabei beschränke ich mich hier nur auf sein
belletristisches Schaffen!
Einen nicht geringen schöngeistigen, aber ganz und gar weltabgehobenen Spaß hatte
ich an seinen „Novellen“, wie sie mich in 3 reizenden Leinenausgaben des Aufbau-Verlags
der DDR aus den wohlausstaffierten Buchregalen meiner Eltern anlächelten. Die „Novellen“
lese ich noch mal, wenn ich 40 bin, aber unvergeßlich und unvermißlich prägend ist,
daß ich sie mit 20 gelesen habe.
Ich bin ein Freund des Heinrich Mann geworden bei Lektüre des "Der Untertan" (1914!),
des erklärten antikaiserlichen, antimilitaristischen, anti-preußensubordinierten
Satireromans über Deutsch- und Untertanentum, den die Kinder der Verschulder des
1. Weltkrieges zähneknirschend als Meister- und Standardwerk der internationalen
kritisch-realistischen Literatur ihren 9./10. Schulklassen „empfehlen“ müssen. (Arme
DDR-Untertanen mußten dieses Buch in der 9. Klasse lesen.)
Ich bin ein Fan des Heinrich Mann geworden (das Fan-Stadium ist am schrecklichsten
und am schönsten zugleich!) bei wiederholter (!) Lektüre der allgemein unverstandenen
oder gehaßten Biographie des herrschenden Fortschritts, "Henri Quatre" (1938), einer
in 5 politisch aktiven Jahren Frankreich-Exil entstandenen zweiteiligen Monumental-Historie
allergehobenster Roman-Stilsicherheit und Formgediegenheit über den Wegbereiter-„von-oben“
des Fortschritts, König Heinrich IV. von Navarra (1553-1610), der von den protestantisch
präaufgeklärten Massen inthronisiert und von der katholischen Konterrevolution mitsamt
vielen protestantischen Untertanen weggemeuchelt wurde, allerdings nachdem er die
Voraussetzungen für den Aufstieg Frankreichs zur Weltmacht des 17. Jahrhunderts
schuf: Beginn der Liquidierung des ständischen Adels sowie Integration der protestantischen
kleinen Bourgeoisie Frankreichs (der sogenannten „Hugenotten“ = Eidgenossen = schweizerische
Republikaner). Das einzige Ärgernis mit diesem Roman ist folgendes, daß nicht einmal
die ostdeutsche Literaturwissenschaft es je wagte, ihn wesentlich als Stalin-Biographie
zu begreifen (Alles muß man selber denken!).
Doch ein Diener, ach, Sklave des Heinrich Mann wurde ich bei Lektüre des revolutionär
gesinnten (ästhetisch allerdings weniger beachtlichen, nicht als Roman zu denkenden)
"Ein Zeitalter wird besichtigt" (1945), einer tagespolitisch-geschichtsphilosophischen
Montage angesichts des deutschen Kriegs und seines Endes, gespickt mit Liebeserklärungen
an die Sowjetunion und Frankreich, uneingeschränkten antifaschistischen Würdigungen
Roosevelts und Churchills, auch mit Illusionen über die Anti-Hitler-Koalition, resigniert-antifaschistischen
Geschichtspessimismen und naiven Vorahnungen über die weltpolitischen Veränderungen
nach dem 2. Weltkrieg.
Was mußte einer der letzten großen Bürger bei Besichtigung seines Zeitalters dichten?
(Die versprochene Zitat-Auswahl, aus „Ein Zeitalter wird besichtigt“)
"Man sagt, damit die Welt Frieden habe, müsse die deutsche Kriegerkaste zerstört
werden. Das wäre wenig. Die Kriegerkaste sitzt verschwägert, angestellt und beteiligt
in den Präsidialbüros, wo ein Kontinent betrogen wird." – "In dem trostlosen Bewußtsein,
daß er, um es mit Europa aufzunehmen, weder der Stärkere noch der Berufene sei,
hat Hitler oder das Kollektiv von Militärs und Doktrinären, das so heißt, zu der
Auskunft der Verzweiflung gegriffen. Blitzkrieg – ist das Eingeständnis, man könnte
nur mit einem Tag Vorsprung an das Ziel kommen, dann nie wieder. Totaler Krieg –
heißt deutlich, daß die lebenden Nationen niemals wirklich besiegt sind: man muß
sie umbringen." – "Deutsch-Europa, das ist der Krieg."
"Ein ehrlicher Demokrat muß sich darüber Rechenschaft ablegen, daß der Marxismus
die Voraussetzung für die wirkliche Demokratie schafft." "Die Oktoberrevolution
ist, wie jede echte, tiefe Revolution, die Verwirklichung einer hundertjährigen
Literatur." "Die volkstümliche Wirkung Lenins ist übrigens die einzige, jetzt erlaubte
Wirkung auf die Völker. Roosevelt ist der vergeistigtste Typ, den Amerika kennt,
und eben dank seinem Wissen um das neue Zeitalter, das er tätig einleitet, wird
er im Gedächtnis der Vereinigten Staaten der außerordentliche Präsident bleiben.
Als größter Realist unter den öffentlichen Männern hat Stalin sich der widerstrebenden
Mitwelt herausgestellt. Gerade er verzichtet am wenigsten auf den Rang eines Intellektuellen.
Eher noch ließe er seinen Marschallstitel fallen. Der einzige jetzt authentische
Realismus deckt sich mit dem Ausbruch von Wahrheitsliebe, der dieses Zeitalter bewegt.
Die beiden Revolutionen sind eine. [Französische Revolution und Oktoberrevolution]
Vorerst hat der Ausbruch von Wahrheitsliebe zweihundert Millionen Menschen durchaus
verändert, er hat sie befähigt für Siege, die nicht zuerst militärisch waren. Die
Sowjetunion kann den Krieg gewinnen, weil sie vorher soviel Wahrheit besaß. Nicht
ohnmächtige Wahrheit, sondern lebendige – das wirkliche Leben eingerichtet nach
bester Erkenntnis, mit dem besten Willen für die Menschen."
Neuerdings sind Heinrich Manns Notizen aus den Jahre 1939-41 unter dem Titel „Zur Zeit von Winston Churchill“ (1941) herausgegeben und im gewöhnlichen Westdeutschland dazu verwendet worden, einen antistalinistischen Schuh an Heinrich Manns Bein zu flicken, mit dem hämischen Tenor einer Wissenschaft, die sich nicht zu vergegenwärtigen braucht, warum sie (noch) nicht (wieder) im Dienste des Faschismus steht (und welchen Armeen sie ihre dünnen relativen Freiheiten verdankt), und die besserwisserische Philologen ausschickt, unhistorische Rückprojektionen auch über die Notizen Heinrich Manns zu schütten und zu verspotten, daß er faschistischen Erfolgen zum Trotz so etwas wie Hoffnung in einen Weltfortschritt äußerte. Auf der krampfhaften Suche nach antikommunistisch Verwertbarem frohlockte die deutsche Bourgeoisie im Jahre 2004 angesichts der nachweislichen Verunsicherung Heinrich Manns nach dem Nicht-Angriffs-Vertrag zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion. Diese Kampagnen täuschen fachmännisch-professionell über die lebenslang aufklärerische und prokommunistische Haltung Heinrich Manns und seine verständige Würdigung des Staatsmanns Joseph Stalin hinweg.
Ein bescheidenes politisches Fazit betreffs Heinrich Mann mag sein: Dem Deutschtum,
sei es alt oder neu, ist der politische Heinrich Mann ein Dorn im Auge, ob als Untertanengegenwartskritiker,
historischer Fortschrittsbefürworter oder bescheidener Chronist und Kommentator
eines Zeitalters. Entsprechend hatte er in Westdeutschland nichts verloren und nahm
1949, noch im amerikanischen Exil, die Präsidentschaft der Deutschen Akademie der
Künste der DDR an (verstarb allerdings auf gepackten Koffern in den USA). Auch bescheeläugte
das Adenauer-Regime die vereinzelten Heinrich-Mann-Ausgaben in Westdeutschland,
während die DDR 1949 eine auch unter bibliophilem Gesichtspunkt schöne Gesamt-Werksausgabe
herausbrachte.
Heinrich Mann war ein großer und aktiver Antimilitarist und Antifaschist und Freund
der Kommunisten. Mit dem internationalen Kampf gegen den Kommunismus hat er allerdings
gar nichts zu schaffen, außer in den Verbiegungen der BRD-"Wissenschaft", der er
hiermit ENTRISSEN ist. Er gehört ganz uns!
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