GRENZENLOSE HEIMAT
Samuel Salzborn
Vor ziemlich genau einem Jahr, am 3. September 2000 (man bemerke: Zwei Tage nach
dem Jahrestag des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf Polen) sprach Schröder als
erster sozialdemokratischer Kanzler zum „Tag der Heimat“ des Bundesverbandes deutscher
Vertriebener (BdV). Was hatte er den unverblümten Revanchisten zu sagen? „Polen,
Tschechien und Ungarn würden bald Mitglieder der EU sein. Dann könnten sich die
Nachkommen der Vertriebenen im Rahmen der Freizügigkeit an den Orten ihrer Vorfahren
niederlassen.“ (Süddeutsche Zeitung, 4.9.2000). – Die sogenannten Vertriebenen sollen
also auch und gerade zukünftig als Fünfte Kolonne dem deutschen Imperialismus behilflich
sein, die Staaten Osteuropas zu untergraben und zu zerschlagen.
Es bleibt also nach wie vor notwendig, sich mit den Vertriebenenverbänden und ihrer
revanchistischen Politik auseinanderzusetzen. Dafür ist jedem das Buch „GRENZENLOSE
HEIMAT – Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände“ von Samuel
Salzborn nur zu empfehlen. Das Buch bietet Informationen ohne Ende, ich beschränke
mich in diesen Zeilen weitgehend auf wesentliche Fakten zur Geschichte der so genannten
Sudetendeutschen und ihrer Bedeutung für die Tschechoslowakei.
Zunächst zu dem Begriff „sudetendeutsch“: „Keine einzige der deutschen politischen
Parteien, die sich nach 1918 auf dem Boden der Tschechoslowakei konstituierten,
firmierte „sudetendeutsch“ [...]. Das änderte sich erst Ende 1933 mit dem Auftreten
von Konrad Henleins „Sudetendeutscher Heimatfront“, die später als „Sudetendeutsche
Partei“ (SdP) auftrat.“
In der Tschechoslowakei waren die Individual- und Menschenrechte garantiert, völkische
Kollektivrechte gab es nicht. Die so genannten Sudetendeutschen wurden von Seiten
des Staates als „deutsch sprechende Tschechoslowaken“ betrachtet und waren daher
genauso wenig im Besitz von gesonderten Gruppenrechten wie alle anderen Bürger der
Tschechoslowakei. Die „Sudetendeutschen“ konnten – wie alle anderen auch – durch
eigene Parteien ihre Interessen im parlamentarischen System vertreten lassen.
Durch die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg waren die Grenzen Deutschlands
und der Tschechoslowakei festgelegt und die Bildung eines Großdeutschen Reiches
verboten worden. In der Habsburgermonarchie hatten die deutschen Minderheiten eine
Vormachtstellung innegehabt, was in der Tschechoslowakei nicht der Fall war. Entgegen
der Propaganda der „Sudetendeutschen“ und des Dritten Reiches fand „eine gezielte
soziale oder wirtschaftliche Diskriminierung (...) nicht statt. Gerade die deutsche
Minderheit konnte ihr gut entwickeltes Schul- und Bildungssystem, die kulturellen
Einrichtungen und ein breites Pressespektrum in der Ersten Republik mit relativ
großzügiger staatlicher Förderung aufrechterhalten (...).“ Ende März 1938 wurde
Konrad Henlein von der SdP von Hitler angewiesen, unannehmbare Forderungen an den
tschechoslowakischen Staat zu richten, auf diese Weise Spannungen zu entfachen,
aufrechtzuerhalten und zu steigern, bis eine Befriedung nur noch durch den Anschluß
an Deutschland möglich erscheinen sollte. Henlein: „Wir müssen also immer so viel
fordern, daß wir nicht zufriedengestellt werden können.“ In der Folge drängten die
„Sudetendeutschen“ regelrecht in die faschistische Henleinbewegung, fast jeder zweite
wurde Mitglied. Die Politik der Fünften Kolonne ging auf: Mit dem Münchner Abkommen
vom 29./30. September 1938 wurde die Zerschlagung der Tschechoslowakei umgesetzt,
das „Sudetenland“ wurde „heim ins Reich geholt“, die Slowakei und die Karpato-Ukraine
wurden autonom.
Die „Sudetendeutschen“ stimmten bei den Reichstagsergänzungswahlen Ende 1938 bei
einer Wahlbeteiligung von knapp 100 Prozent zu 98 Prozent für die NSDAP, das „Reichsgau
Sudetenland“ stand bezüglich der Mitgliedschaften in der NSDAP in Relation zur Bevölkerungsstärke
an der Spitze der NSDAP-Gaue – die „Sudeten“ waren wahrlich richtig echte Deutsche
und so wurde von der „sudetendeutschen Avantgarde des Volkstumskampfes“ gesprochen.
Ein großer Teil der nichtdeutschen Bevölkerung wurde aus den Gebieten, die Deutschland
zugeschlagen wurden, vertrieben, viele davon ermordet, wobei die sogenannten Bessarabien-
und Dobrudscha-Deutschen die Höfe und Ländereien der enteigneten jüdischen und tschechischen
Bauern erhielten. Die Zerschlagung und Besetzung der so genannten Rest-Tschechei
erfolgte am 16. März 1939. Jeder Widerstand gegen die deutschen Besatzer wurde fortan
mit blutigem Terror beantwortet: Nach der Liquidierung des „Henkers von Prag“, Reinhard
Heydrich (Göring beauftragte ihn mit der „Endlösung der Judenfrage“) wurde am 10.
Juni 1942 das tschechische Dorf Lidice zerstört. Alle männlichen Bewohner, die älter
als sechzehn Jahre waren, wurden umgebracht, die Frauen wurden, wenn sie das Massaker
überhaupt überlebt hatten, in das Konzentrationslager Ravensbrück oder ins Gefängnis
deportiert. Die überlebenden Kinder wurden verschleppt.
Hitler erläuterte die deutschen Pläne wie man mit der tschechischen Bevölkerung
umgehen wolle: „Wie werden die Tschechen und Böhmen nach Sibirien oder in die wolhynischen
Gebiete verpflanzen, wie werden ihnen in den neuen Bundesstaaten Reservate anweisen.
Die Tschechen müssen heraus aus Mitteleuropa.“ Auf einer Tagung der NSDAP-Prominenz
des „Gau Sudetenland“ im April 1944 wurden die drei Grundlinien der Germanisierungspolitik
genannt: „1. Die Umvolkung der rassisch geeigneten, also blutmäßig für uns erwünschten
Tschechen. 2. Die Aussiedlung von rassisch unverdaulichen Tschechen und aller destruktiven
Elemente der reichsfeindlichen Intelligenzschicht. 3. Die Neubesiedlung dadurch
frei gewordenen Raumes mit frischem deutschen Blut.“
Nach der Befreiung vom Faschismus beschlossen die Alliierten im Potsdamer Abkommen
vom 2. August 1945, daß „die Umsiedlung deutscher Bevölkerung oder Bestandteile
derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach
Deutschland durchgeführt werden muss“, ein zweites Münchner Abkommen sollte unmöglich
gemacht werden. Mit den Benes-Dekreten wurde diese Bestimmung des Potsdamer Abkommens
in der Tschechoslowakei umgesetzt, die „Sudeten“ hatten zu gehen. Antifaschisten
durften bleiben.
Nach diversen Vorgängerorganisationen wurde in der BRD im Januar 1950 der „Bundesverband
der Sudetendeutschen Landsmannschaft“ gegründet, in dessen Detmolder Erklärung als
Ziel, auf das man bis heute hinarbeitet, „die Wiedergewinnung der Heimat“ proklamiert
wurde. Aufgabe der „sudetendeutschen Volksgruppe“ sei es, „Heimatbewusstsein und
den Rechtsanspruch auf die Heimat wachzuhalten und ihr grenzdeutsches Erfahrungsgut
dem Deutschtum zu vermitteln.“
Die Sudetendeutschen Landsmannschaften sind Mitgliedsorganisationen im „Bund der
Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände“ (BdV), zu dem auch
die rot-grüne Bundesregierung beste Beziehungen unterhält. Im Januar 1999 verkündete
der Deutsche Ostdienst, das zentrale Pamphlet des BdV: „Das Unverhältnis zwischen
SPD und BdV ist beendet.“ Bereits 1999 sprach Schily auf dem „Tag der deutschen
Heimatvertriebenen“ und bescheinigte den „Vertriebenen“, daß sie sich in „sehr verdienstvoller
Weise“ am Aufbau der Bundesrepublik und der Errichtung einer „freiheitlichen Kultur“
auf deutschem Boden beteiligt hätten. Deshalb wolle die Bundesregierung auch die
vom BdV als „Zentrum gegen Vertreibungen“ geplante „zentrale Informations-, Dokumentations-,
Archiv- und Begegnungsstätte“ in Berlin tatkräftig unterstützen, für die nach Angaben
des BdV zwischen 160 und 200 Millionen Mark Stiftungskapital nötig seien. „Was die
institutionelle Förderung des BdV anbelangt, so standen hier für 1999 rund 3,58
Millionen Mark im Haushaltseinzelplan des BMI (Bundesministerium des Innern) – 1998
waren es rund 3,48 Millionen.“
Der deutsche Imperialismus muß ein Interesse daran haben die sogenannten Deutschen
in den osteuropäischen Staaten als Fünfte Kolonnen zu halten. (folgende Zitate aus:
Stefan Eggerdinger: Die Ostexpansion der BRD. München 1994) „Zunächst hatten die
(deutschen Minderheiten) den neuen deutschen Nationalismus falsch verstanden und
wollten alle in die BRD kommen. Das hat man ihnen schnell ausgetrieben und spätestens
seit 1992 wird alles dafür getan, die Sudetendeutschen, die Schlesier, die Russlanddeutschen
und viele andere mehr als Fünfte Kolonne in ihren jeweiligen Aufenthaltsländern
zu halten. (Seit 1992 gibt es staatliche bundesdeutsche Förderprogramme speziell
für Schlesier, die sich bereit erklären, in Polen zu bleiben und der entsprechende
Etat für die Russlanddeutschen wird ständig aufgestockt.)“ „Seit der Wende 1989/1990
wurde die Möglichkeit der Hilfen für die Deutschen in ihren Siedlungsgebieten in
bis dahin nicht vorstellbarer Weise erweitert.“ 115 Millionen DM waren für die Unterstützung
„deutscher Minderheiten in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa einschließlich nicht-europäischer
Nachfolgestaaten der UdSSR“ um Haushaltsplan des BMI für das Jahr 1999 vorgesehen.
So, soviel an dieser Stelle. Wer in sich den unaufhaltsamen Drang verspürt, mehr
wissen zu wollen, muß das Buch schon selber lesen – empfehlenswert ist es allemal:
Titel: GRENZENLOSE HEIMAT - Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände
Autor: Samuel Salzborn
Verlag: ELEFANTEN PRESS / Jahr: 2000
ISBN: 3-88520-770-2
Preis: DM 29,90
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