Freispruch in München - doch kein Ende der Willkür

Die aufgehende Sonne doch nicht verfassungwidrig?

Verfolgung der FDJ in München: Landgericht bestätigt Freispruch

Am 03.11.2015 fand im Landgericht München in der Nymphenburger Straße das Berufungsverfahren gegen ein Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) statt. Ihm wurde das Zeigen verfassungsfeindlicher Embleme bzw. solcher, die diesen zum Verwechseln ähnlich sehen (§ 86a StGB), vorgeworfen, weil er auf einer Demonstration die Fahne der FDJ getragen hatte. In erster Instanz wurde er durch das zuständige Amtsgericht freigesprochen.

Auch bei diesem Termin reichten die vom Gericht zur Verfügung gestellten 21 Zuschauerplätze nicht aus, um allen Interessierten die Verfolgung des Prozesses zu ermöglichen. Zudem wurden dem Genossen bei der Einlasskontrolle Teile seiner Verteidigungsunterlagen von Polizeibeamten weggenommen. Erst auf nachdrücklichen Protest seiner Anwältin, Gabriele Heinecke, wurden die betreffenden Unterlagen (Aufkleber, die das Emblem der FDJ zeigen) während der Verhandlung wieder ausgehändigt. Der gesamte Vorgang wurde protokolliert, was bedeutet, dass die Anwältin bereits zu Beginn des Verfahrens öffentlichen Einblick in ihre Verteidigungsstrategie gewähren musste.

Anschließend begann die Verhandlung des Sachverhalts. Zentrale Frage war, ob das FDJ-Emblem tatsächlich eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung darstellt und §86a StGB überhaupt auf das FDJ-Emblem anwendbar ist.

Die Argumentation der Staatsanwaltschaft beruhte – wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren – zum größten Teil darauf, dass die FDJ in Westdeutschland im Jahr 1954 durch das Bundesverwaltungsgericht als verfassungsfeindlich eingestuft worden war. Das Symbol, das der Angeklagte auf der Demonstration zeigte, sehe aus wie das der verbotenen FDJ (West) und erfülle deshalb den Tatbestand des § 86a.

Die Verteidigung dagegen führte aus, dass das FDJ-Symbol nicht nur Zeichen der einst verbotenen FDJ (West), sondern auch der nie verbotenen FDJ (Ost) sei, welche sogar zu Bundestagswahlen zugelassen wurde. Durch das Verbot von 1954 bzw. die darauffolgenden Berufsverbote, Verhaftungen und Verurteilungen sei die FDJ (West) praktisch liquidiert worden. Die heutige FDJ, deren Mitglied der Angeklagte ist, hat ihren Sitz im (Ost)Berliner Karl-Liebknecht-Haus und sei weder Nachfolge- noch Ersatzorganisation der FDJ (West) von 1954.

Dies sei auch daran zu erkennen, dass ein normal verständiger Bürger mit dem FDJ-Emblem lediglich die DDR verbinden würde. Andere, etwa der als Zeuge vernommene Polizeibeamte, verbänden mit dem Zeichen überhaupt nichts (mehr). Die Verwendung des Zeichens werde also von Niemandem als Straftat oder Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung gesehen. Zudem sei im Falle der FDJ der Schutzzweck, der durch die Staatsanwaltschaft angeführten Staatsschutzparagraphen nicht erfüllt, weil §86a aus Anlass der zunehmenden faschistischen Umtriebe Anfang der 90ziger Jahre, gegen die Verwendung von Nazi-Symbolik geschaffen wurde.

Dieser Umstand wurde u.a. durch Bildbeweise von der diesjährigen Mahnwache gegen das faschistische Oktoberfestattentat in München belegt, auf welchen der bayerische Innenminister und der Münchner Polizeipräsident mit FDJ-Fahne im Hintergrund zu sehen sind. Vom Tisch der Richterin wollte daraufhin der Staatsanwalt diese Bilder wegen Anfangsverdacht einer Straftat beschlagnahmen, was unsere Verteidigung sinngemäß damit konterte, ob er jetzt damit Ermittlungen gegen den Innenminister und den Polizeipräsidenten wegen Strafvereitelung im Amt einleiten wolle.

Der Angeklagte führte in seiner Einlassung aus: „Es mag ein Versehen der Herrschenden sein, ein Fehler, den man zu spät bemerkt hat, aber es ist Fakt: Die Annektierer haben sich die FDJ selber wieder ins Land geholt. Diese FDJ kann man traditionsbewusst mit der Außerkraftsetzung von demokratischen Rechten, mit Hausdurchsuchungen und Bespitzelung in ihrem Handeln einschränken, man kann ein Klima der Angst erzeugen, aber sie ist nicht verboten.“ Er spielte darauf an, dass im deutsch-deutschen Einigungsvertrag 1990 geregelt wurde, dass alle legalen DDR-Organisationen (auch die FDJ) in der BRD legal weiterexistieren dürfen. Und dass ein Infragestellen dieser Vereinbarung die gesamte „Wiedervereinigung“ in Frage stellt.

Da in dieser Hinsicht jedoch offensichtlich Klärungsbedarf besteht, und in Anbetracht der Tatsache, dass das Verbot von 1954 aus mehreren Gründen der heutigen Rechtsauffassung widerspricht (so würden die Gründe des Verbotsverfahrens heutzutage für ein solches bei weitem nicht ausreichen), stellte die Verteidigung einen Antrag auf Klärung durch die Bundesregierung. Deren Mitglied Angela Merkel war selbst Mitglied der FDJ. Der Antrag wurde von der Richterin mit der Begründung abgelehnt, dass man „auch ohne auskommt“.

Letzten Endes entschied das Gericht, die Berufung der Staatsanwaltschaft zu verwerfen, die Kosten trage der Staat. Noch während der Verhandlung zeichnete sich allerdings ab, dass die Staatsanwaltschaft von der Revisionsmöglichkeit Gebrauch machen könnte.

Wir erklären dazu, dass der Ausgang der Verhandlung ein Etappensieg ist, aber keine prinzipielle Klärung herbeigeführt wurde und von Rechtssicherheit für die FDJ weder in München noch bundesweit die Rede sein kann. Wir werden das Urteil zu nutzen wissen, stellen uns aber auf weitere Gesinnungsverfolgung unserer Mitglieder durch den Staatsapparat ein und werden unseren Kampf für eine Zukunft ohne Ausbeutung, Faschismus und Krieg fortsetzen.

Die Einlassung des Angeklagten endete folgendermaßen:

„In einer Welt, die auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruht, in der die einen Wenigen immer reicher werden, während Millionen verhungern und zur Flucht gezwungen werden, gibt es nur eine Antwort: Die werktätige und lernende Jugend muss sich organisieren gegen Faschismus, Ausbeutung und Krieg. In meinen Augen ist der richtige Ort dafür eben die Freie Deutsche Jugend, unter anderem weil sie sagt: Lieber sozialistische Experimente, als großdeutsche Kriege!“

Presseschau:

TAZ

Münchner Blogg "Waffen der Kritik"

Weitere Downloads:

Zur Einlassung des Angeklagten.

Solidaritätserklärungen

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