Das Kartenhaus
Rainer Roth
2.361.434.860.080 DM beträgt laut Bund der Steuerzahler am 21. Juni 00 um 14:30:03
(wenn denn meine Uhr auf die Sekunde richtig geht) die Verschuldung von Bund, Länder
und Gemeinden in Deutschland. Und jede weitere Sekunde wächst diese Zahl um 2.544
DM. Und am Ende des Jahres werden diese Schulden auf einem Stand von 2.403.960.244.512
oder gerundet rund 2,4 Billionen DM geklettert sein. 2,4 Billionen DM das ist doch
eine Zahl zum Fürchten, nicht wahr?! So soll es auch sein. Denn dann kann doch wohl
auch der letzte Arbeiter in diesem Land einsehen, dass der Gürtel enger geschnallt
werden muss: 80 Eichelsche Sparpakete je 30 Milliarden DM braucht das Land. Dazu
muss das Rentenniveau gesenkt werden. Die Lohnnebenkosten sowieso. Die Sozialleistungen
und Zahlungen für die Arbeitsscheuen pardon Arbeitslosen müssen gekürzt werden ...
Denn wer Schulden macht, muss Zinsen zahlen. Doch sollte man bitteschön "nicht so
naiv zu sein zu glauben, dass der Staat jemals seine Schulden zurückzahlen könne.
Er müsse stets nur so solvent (zahlungskräftig, d.V.) bleiben, dass er die alten
Kredite durch neue erklären kann." So zitiert Rainer Roth in seinem Buch "Das Kartenhaus"
den ehemaligen Finanzstaatssekretär Otto Pöhl. Wieso wird dann eine Diskussion über
den Abbau der Staatsschulden überhaupt geführt? Oder anders herum, warum solle niemand
glauben, dass der Staat jemals seine Schulden zurückzahlen kann?
Rainer Roth setzt sich im "Kartenhaus" mit der Staatsverschuldung und ihren gängigsten
Erklärungsmustern auseinander. Und stellt dazu bereits am Ende seiner Einleitung
zusammenfassend fest:
"Alle (...) genannten Erklärungen enthalten in verschiedenem Maße richtige Einschätzungen.
In welcher Weise, das versuchen wir im weiteren Verlauf zu entwickeln. Aber sie
werfen auch viele Fragen, die nicht beantwortet werden. Die Analyse bricht meistens
dann ab, wenn sie die Sphäre des Politischen verlässt, als würde über der Ökonomie
ein Verbotsschild stehen: ,Achtung, Sie betreten hier den Sektor des privaten Eigentums.
Für die Folgen des weiteren Nachdenkens kommen wir nicht auf.' Wissenschaftliche
Arbeit wäre aber von vorneherein in ihren Erkenntnissen beschränkt, wenn sie sich
die Reichweite ihrer Analyse durch Eigentums- und Machtverhältnisse vorschreiben
lassen würde."
Entsprechend untersucht er sowohl die "Logik des Kapitals", "die Privatinteressen
im Staatsapparat" als auch die "Internationalisierung (Globalisierung)" als Ursachen
der Staatsverschuldung. Als Ergebnis ist die "Staatsverschuldung als Folge des langfristigen
Falls der Profitraten" festzuhalten.
Einer der Befunde von Roth zur "Internationalisierung" sei an dieser Stelle ausdrücklich
erwähnt:
"Es ist jedoch nicht der internationale Konkurrenzkampf, der den Fall der Profitraten
hervorruft, sondern umgekehrt: der verstärkte internationale Konkurrenzkampf wird
durch den Fall der Profitraten hervorgerufen und die auf ihn zurückzuführende wachsende
Masse von arbeitslosem Kapital in den jeweiligen Ländern."
Zur Herleitung und als Beleg für seine Thesen arbeitet Roth mit einem umfangreichen
Zahlenmaterial, welches öffentlich zugänglichen Quellen entnommen ist. Gleichzeitig
räumt er anschaulich mit den Träumen vieler Linker auf, dass zur Lösung der Staatsverschuldung
die heute herrschende Ideologie des Neoliberalismus einfach durch die Ideologie
des Keynesianismus ersetzt werden muss, also eine Lösung unter der Herrschaft des
Kapital möglich sei, denn "Keynesianismus" und "Neoliberalismus" setzen nur an verschiedenen
Seiten des durch das Profitinteresse des Kapitals gestörten Zusammenhangs zwischen
Produktion und Konsumtion an. Der Keynesianismus will das gestörte Gleichgewicht
vor allem durch die Stärkung der Nachfrage mit den Mitteln des Staatskredits wiedergewinnen.
Nachfrage soll in erster Linie über staatliche Investitionen gestärkt werden. Der
Neoliberalismus konzentriert sich dagegen auf eine Ankurbelung von privaten Investitionen
durch die direkte Anhebung der Profitraten mit Hilfe von Steuersenkungen. Beide
können jedoch den Fall der Profitraten als Ursache der Staatsverschuldung nicht
aufhalten.
Welche Lösungen bieten sich also an, wenn die in der öffentlichen Diskussion vorherrschenden
Mittel gleich ob Senkungen der Lohnnebenkosten oder der Sozialleistungen sich als
unbrauchbar erwiesen haben, weil jede "Aktivierung von Lohnabhängigen zum Nutzen
der durch das Kapital gesteckten Ziele (...) sich im Ergebnis gegen sie" richtet?
Roth nennt klar die Bedingungen die an eine wirkliche Lösung gestellt werden:
"Die Staatsverschuldung kann nicht per Dekret verboten werden. Sie kann auch nicht
durch die Stärkung der einzelwirtschaftlichen Profitinteressen beseitigt werden.
Die Lohnabhängigen sind die wichtigste Kraft, deren Interessen der Staatsverschuldung
entgegenwirken können, da ihre Interessen gegen die Ursachen der Staatsverschuldung,
die Vorherrschaft der einzelwirtschaftlichen Profitraten, gerichtet sind. (...)
Staatsverschuldung wäre dann nicht mehr notwendig, wenn das einzelbetriebliche Profitinteresse
nicht mehr im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen und sich auf Kosten der Ruinierung
der Staatsfinanzen entwickeln könnte.(...)
Sie wäre dann nicht mehr notwendig, wenn die Interessen der LohnarbeiterInnen sich
als Allgemeininteresse durchsetzen könnten." Den letzen Satz hätte man sich gerade
erst wieder als Verhandlungsmotto in den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes
auf Seiten der Gewerkschaften gewünscht. Doch scheinbar zeigt auch hier die zunehmende
Hetze des Kapitals "gegen faule Arbeiter, gesunde Kranke, schmarotzende Arbeitslose,
kriminelle Jugendliche, Frauen mit sozial unverantwortlicher Erwerbsneigung, allen
auf der Tasche liegende Ausländer, reiche Bettler, unersättliche Alte, faule Lehrer
und Professoren" seine Wirkung. ",Die ganze Gesellschaft' soll damit einverstanden
sein, dass ihre wachsende Produktivität zu einer Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse
führen soll, statt zu ihrer Verbesserung."
Ein Bewusstsein gegen diese Hetze des Kapitals (einer Minderheit über eine Mehrheit)
zu schaffen und sich nicht mehr den faulen Argumenten zur Staatsverschuldung zu
beugen, dazu leistet das "Kartenhaus" einen guten Beitrag.
Nicht zuletzt, weil "Das Kartenhaus" flüssig zu lesen ist: So verzichtet Roth vollständig
auf Fußnoten. Fremdwörter und Fachbegriffe werden sofort erklärt, sind aus dem Kontext
verständlich oder können zur Not auch dem ausführlichen Glossar im Anhang des Buches
entnommen werden. Ebenfalls findet sich im Anhang eine ausführliche Literaturliste
und ein Stichwortverzeichnis. Letzteres ermöglicht es, das Kartenhaus im begrenztem
Umfang wie ein Nachschlagewerk zu verwenden.
"Das Kartenhaus - Staatsverschuldung in Deutschland" ist im Oktober 1999 in der
2. Auflage im DVS Verlag, Frankfurt am Main unter ISBN 3-932246-20-9 erschienen.
Eine regelmäßige Überarbeitung und Aktualisierung in gewissen Abständen ist geplant.
Der Autor Rainer Roth, geb. 1944, ist Professor für Sozialwissenschaften mit dem
Schwerpunkt Armut und Sozialhilfe an der Fachhochschule Frankfurt, und Vorsitzender
von KLARtext e.V., einem Verein, der dafür eintritt, die Staatsfinanzen nicht zu
Lasten der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Armen, sondern zu Lasten der Banken,
Konzerne und der Reichen zu sanieren.
Wuide
2. Auflage
DVS Verlag Frankfurt /M.
ISBN 3-932246-20-9
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